Die Geschichte des Sitzens

Die natürliche und ursprüngliche Sitzhaltung war das Kauern oder Knien, also das Sitzen ohne Stuhl.

Zuerst saß man wohl auf Steinen oder Holzstücken, bevor künstliche Sitzgelegenheiten hergestellt wurden. Von den Germanen berichtet Tacitus, dass sie auf Fellen und Matten saßen und lagen. Vermutlich war der erste Stuhl, den der Mensch baute, für einen Herrscher bestimmt. Der Stuhl als Synonym für Thron, der Sitz für Herrscher und Würdenträger.

Im Waltharilied (ein in lateinischen Hexametern von dem Sanktgaller Mönch Ekkehart I. in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts verfasstes Gedicht) liest man:

»Die Stunde kam des Schmauses.
Mit Tüchern mannigfalt Verhänget war die Halle.
Eintrat Herr Etzel bald, Er setzte auf den Thron sich, den Woll' und Purpur deckt, Auf hundert Polstern rings die Hunnen lagen gestreckt.«

König Etzel sitzt auf einem Thron, während die Hunnen um ihn herum liegen oder hocken.

In der ägyptische und mesopotamischen Kunst wurden nur Herrscher und hohe Beamte auf Faltstühlen oder Hockern sitzend dargestellt.

So kauert der berühmte „Schreiber“ mit untergeschlagenen Beinen auf dem Boden ( um ca. 2500 v. Chr.) zu sehen im Musee de Louvre, während auf dem Rollsiegel aus der der Ur III-Zeit (Urnammu 2111 – 2094 v. Chr.), der thronende Mondgott Nanna in der sogenannten Einführungsszene auf einem Stuhl sitzt.

Der Stuhl als privilegierter Sitz ist auch in den berühmten Briefen der Madame de Sevigne (1626 - 1696) zu finden, wo Stühle eine große Rolle im höfischen Zeremoniell spielen. So erfahren wir von Streitigkeiten und Intrigen um das Recht auf einen Fauteuil, einen Stuhl nur mit Rückenlehne, oder einen Hocker, höher oder niedriger. Die Hierarchie am Hofe entspricht der Hierarchie der Sitzgelegenheiten. Der Stuhl als Statussymbol.

Die industrielle Revolution führte zu einer stark beschleunigten Entwicklung von Technik und Produktivität, etwa zeitgleich wurde der abendländische Feudalismus durch die bürgerliche Gesellschaft abgelöst. Für diese Entwicklung steht beispielhaft der Bugholzstuhl, nämlich für ein in großen Mengen für alle Gesellschaftschichten erschwingliches und verbreitetes Sitzmöbel.

Welcher Stuhltyp der älteste ist, lässt sich kaum feststellen. Man kann allerdings feststellen, dass der schon im Alten Ägypten und in Mesopotamien hergestellte Sprossen-, Zargen- und Faltstuhl das Ergebnis eines spezialisierten Handwerks ist. Während der Brettstuhl, Kastensitz, Hocker oder der monoxylone Sitz ohne hochentwickeltes Werkzeug und ohne erlerntes Handwerk hergestellt werden konnte. Der Bugholzstuhl der seit 1850 in großen Mengen seine Verbreitung fand steht für die Industrialisierung der Möbelgeschichte. Der Schichtholzstuhl wie der Lounge Chair Wood No. 670 von Charles und Ray Eames, der Stahlrohrstuhl als Freischwinger wie der B64 von Marcel Breuer und besonders der aus Kunststoff hergestellte Stuhl wie der Panton chair sind ohne Zweifel Ikonen der Möbelgeschichte und stehen für technisch anspruchsvolle, von Architekten entworfene, Sitzmöbel des 20 zigsten Jahrhunderts.